Die widerwillige Hamburgerin

Ganz ehrlich, als es sich herausstellte, dass mein Mann 1995, nach dem Aufbaustudium, eine Stelle in Hamburg bekommen konnte, habe ich mich überhaupt nicht gefreut. Ich wohnte damals sehr gern in dem Provinzstädtchen Osnabrück, ich hatte einen tollen Job und viele Freunde. Falls ich mal umziehen wollte, dann wäre ich in meine Traumstadt Berlin gegangen, oder vielleicht nach Bremen, wo ich eine sehr gute Freundin hatte. Aber Hamburg?! Hamburg war auf meiner Top-Ten-Liste der Städte in Deutschland, wo ich mal wohnen würde wollen, nicht mal auf den unteren Rängen. Ganz ehrlich noch mal, für mich kam zu der Zeit kaum ein Hamburg-Besuch in Frage.

Es wurde aber viel mehr als nur ein Besuch: 1996 zog ich dort hin. Ich fand Hamburg blöd, saublöd. Ich fand die Wohnung blöd und meinen neuen Job erst recht, neue Freunde hatte ich erst gar keine, aber hätte ich welche gehabt, hätte ich sie bestimmt auch blöd gefunden. Alle Häuser schienen aus Backstein zu sein und vierstöckig. Ich habe mich dauernd verlaufen und konnte zwischen den ganzen Backsteinen gar nicht Autofahren, und traute mich wegen des Verkehrs und der fehlenden Fahrradwege nicht mit dem Fahrrad zu fahren.

Die Wendung kam, als ich irgendwann doch noch mit dem Fahrrad fuhr und auf dem Weg zu einer Fortbildung in Eppendorf war. Plötzlich merkte ich, ungefähr als ich den Lehmweg überquerte, dass ich mich freute, gerade hier zu sein, und dass ich es sogar schön fand, gerade hier. Das hat mich fast vom Fahrrad gehauen, aber das Gefühl war deutlich und klar: Ich bin gern hier! Ich finde Hamburg schön!

Vielleicht habe ich aber ganz unbewusst etwas von diesem anfänglichen Widerwillen an meinen damals nicht mal geborenen Sohn weitervererbt? Als sich einmal ein Wochenendbesuch angekündigt hatte, habe ich meinen Sohn gefragt, was von Hamburg er zeigen wollte. „Zentralbibliothek Hühnerposten“, antwortete er, wenig überraschend, für einen leidenschaftlichen Leser, seit Jahren ist das sein Lieblingsausflugsziel. Ich versuchte zu erklären, dass es für einen Wochenendbesucher vielleicht nicht ganz so toll wäre, sich eine Bibliothek anzuschauen, wurde aber unsanft von ihm unterbrochen, mit den Worten: „Was soll man denn sonst so zeigen? Hier gibt es ja gar nichts! Wir wohnen schließlich nicht in Paris.“

Es war nicht Liebe-auf-den-ersten-Blick zwischen Hamburg und mir, eher etwas das nach und nach wuchs, und heute kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass wir eine sehr stabile Beziehung führen, meine Wahlheimat und ich. Mittlerweile fühlt es sich doch so an, als hätte ich Hamburg zu meiner Heimat gewählt und nicht mehr so, als wäre ich hierhin verpflanzt worden, und hätte zu gedeihen oder zu krepieren, so wie damals 1996. Wir haben uns nicht nur versöhnt, wir schätzen uns und ich glaube, da ist auch Liebe mit im Spiel.

Und die Wochenendbesucherin von damals? Ihr haben wir das gezeigt, was wir oft zeigen, wenn wir Besuch von außerhalb haben: Erst mal hoch in den Turm vom Michel, um einen Überblick zu bekommen, dann die Landungsbrücken mit den stinkenden Fischbuden, den Hafen, einmal durch den alten Elbtunnel und danach einen Galao mit Nata bei dem Portugiesen in der Ditmar-Koel-Straße, um die Füße zu entspannen. Schließlich eine kleine Tour durch die Hafen City, an der berühmt-berüchtigten Elbphilharmonie vorbei, bevor wir einen Stop an der Außenalster einlegen. Dann geht es zurück zu unserem Reihenhaus in Wandsbek, einem Stadtteil komplett ohne Sehenswürdigkeiten und fast backsteinfrei.

/carina