Warum es sich lohnt, in Deutschland zu leben

Carina Lundin, 1993

Seit fast dreißig Jahren wohne ich nun in Deutschland, und dass ich immer noch keine deutsche Staatsbürgerin geworden bin, weist nicht auf eine Abneigung gegen das Land hin, sondern eher auf eine Abneigung gegen Behördengänge.

Ich wohne wirklich sehr gerne hier, besonders in unserem Stadtteil in Hamburg und habe in absehbarer Zeit nicht vor, irgendwo anders hinzuziehen. Hier sind mein Mann und ich zu Hause, hier haben wir unsere Kinder großgezogen. Ich habe in Hamburg ganz liebe Freunde und wirklich tolle Nachbarn und in manchen Fällen deckt sich das sogar, die Nachbarn sind echte Freunde geworden.

Im Winter wohne ich so gerne in Deutschland, denn nirgendwo gibt es schönere und ausdauerndere Weihnachtsmärkte. Wochenlang vor Weihnachten feiert man schon die Vorweihnachtszeit, und nach Weihnachten feiert man einfach weiter, weil die Buden ja sowieso dastehen, und wenn es kalt ist schmecken der Glühwein und die Feuerzangenbowle immer noch! Im Winter darf man in Norddeutschland außerdem nicht nur an Weihnachten Grünkohl essen, sondern kann beherzt zum Kohl greifen, solange es kalt ist.

Im Frühling kommen die Buschwindröschen sehr früh und der Bärlauch wartet darauf, eingesammelt und zu Kräuterbutter oder Pesto verarbeitet zu werden. Außerdem ist spätestens ab Ende April Badewetter . Unser kleines Naturfreibad ist in der Nähe und in einer verlängerten Mittagspause immer zu erreichen.

Im Sommer werde ich dann aber schwach – jetzt möchte ich ganz unbedingt nach Schweden. Ich bekomme Heimweh nach den Seen, in denen  ich als Kind geschwommen bin, und ich möchte ausgiebig mit meinen Eltern, Geschwistern und Freunden auf der Terrasse rumhängen, knytkalas veranstalten, sommerliche Getränke süffeln und dummes Zeug reden.

Im Herbst aber bin ich wieder besonders froh, in Hamburg zu wohnen, weil hier die Badesaison wesentlich länger ist. Hier schwimmen wir, obwohl die Herbstblätter schon auf der Wasseroberfläche mitschwimmen! Das ist ein ganz besonderes Erlebnis, kann ich euch versichern. Außerdem mache ich sehr gern Zwiebelkuchen und werde fast jedes Jahr von einem meiner Freunde zum Pflaumenkuchen essen eingeladen.

Die Frage, die ich so oft von Kursteilnehmer gestellt bekomme, die sich gerade mit der schwedischen Sprache abkämpfen, um endlich mal in ihr „Traumland“ ziehen zu können, lautet: „Warum bist du nur von Schweden weggezogen?“ Die Antwort ist einfach: ich bin nicht weggezogen, ich bin hergezogen . Ich bin nach Deutschland gezogen und habe dabei Schweden in meinem Herzen behalten. In meiner Brust schlagen nicht zwei Herzen, aber in meinem Herz wohnen zwei Länder – und sie vertragen sich prächtig!

 

 

Vokabelhilfe

ett knytkalas, –            eine Party, zu der jeder Gast etwas beiträgt