„Varifrån kommer du?“ oder „Woher kommst du EIGENTLICH?“

Nun habe ich bisher nur in Deutschland als Ausländerin gelebt, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Deutschen sich besonders dafür interessieren, wo ihre Mitmenschen herkommen. Es reicht offensichtlich nicht, wenn sie sich vernünftig benehmen und sich auf Deutsch verständigen können, man muss immer wissen wo die Wurzeln sind, die Herkunft muss klargestellt werden.

Als ich 1984 das erste Mal in Deutschland Schuhe kaufte und sagte, dass ich Größe 93 brauche, konnte ich schon verstehen, dass die Verkäuferin fragte „Wo kommst du denn her?“. Sie konnte ja nicht wissen, dass man auf Schwedisch erst die Zehner und dann die Einer sagt, aber sie ahnte schon, dass eine junge Erwachsene mit Deutsch als Muttersprache unfallfrei ihre eigene Schuhgröße hätte sagen können. Also musste das Fräulein, das ich damals war, von woanders herkommen, schlussfolgerte sie, und wollte auch wissen von wo.

Etwa zehn Jahre später habe ich als Sozialpädagogin im Stadtteiltreff im sozialen Brennpunkt Haste, in Osnabrück, einem Haufen Sozialpädagogikstudenten das Konzept der Jugendarbeit erklärt. Als ich fertig war, fragte ich, ob es noch etwa gäbe, was sie gern wissen wollten. Ich selbst fand vor allem unsere Arbeit mit den Mädchen sehr interessant und hätte gern mehr davon erzählt. Von ganz hinten meldete sich ein schlaksiger Student und fragte: „Kommen Sie aus Holland?“ Es wurde mir klar, dass er kein Wort des innovativen Konzeptes verstanden, sondern die ganze Zeit nur versucht hatte, meinen Akzent geografisch einzuordnen.

Als ich mich einige Jahre danach in Hamburg im Fitnessstudio anmeldete, musste ich einen Vertrag unterschreiben. Als die Unterschrift geleistet war, wollte ich mit dem Training anfangen, aber die Studioinhaberin hielt mich zurück und sagte mit gesenkter Stimme: „Du kommst nicht von hier, ne?“ Ich bestätigte ihren Verdacht, keine eingeborene Hamburgerin zu sein und wollte endlich mit dem Stemmen der Gewichte loslegen. „Kommst du aus Westfalen?“ rief sie hinter mir her. Als ich nach Hause kam, sagte ich zu meinem Mann: „Ich glaube, mein Deutsch ist besser geworden. Man glaubt nicht mehr, dass ich aus dem Ausland komme, sondern aus einem anderen Bundesland.“

In dem gemeinnützigen Verein, für den ich fast zehn Jahre als Sozialpädagogin arbeitete, gehörte es eine Zeitlang zu meinen Arbeitsaufgaben, potentielle Spender zu treffen und ihnen die Spendenwürdigkeit unseres Projektes darzulegen. Manchmal war es frustrierend, wie wenig sie von den Lebensbedingungen der Familien außerhalb des Speckgürtels Hamburg wussten, aber manchmal kamen auch sehr interessante Gespräche zustande, und ich war froh, diese Menschen treffen zu dürfen. Des Öfteren wurde ich auf meine eigene Herkunft angesprochen, besonders da mein Akzent nun mit einem sehr deutsch klingenden Familiennamen auftrat. „Haben Sie Verwandte nördlich der Elbe?“ fragte mich einmal ein Herr, der meinte, einen Pastor mit dem gleichen Namen im Norden getroffen zu haben. Den Verwandten nördlich der Elbe stimmte ich zu, Pastoren allerdings hatte ich weder in meiner Ursprungsfamilie noch in meiner angeheirateten Familie jemals gehabt.

Oft bin ich gefragt worden, warum ich als Schwedin in Deutschland wohne und wie ich Deutsch gelernt habe. Und warum ich nicht so blond bin, wie die Schwedinnen eigentlich sein sollen. Bis auf die letzte Frage habe ich meistens versucht, ernsthaft zu antworten. Aber keiner wollte so richtig meine Beweggründe und Argumente hören, bis ich meine deutsche Großmutter erwähnte. „Aha! Ja, dann ist ja alles klar! Du hast deutsche Vorfahren. Du bist ja sozusagen zu einem Viertel Deutsch.“ Das stimmt, aber meine Großmutter ist 1932 nach Schweden gekommen. Sie bemühte sich, ihre fünf Kinder so schwedisch wie möglich zu erziehen. Sie hatte keine nahen  deutschen Verwandten, die wir besuchten oder die uns in meiner Kindheit besuchten. Sie hat nie mit uns Enkelkindern Deutsch gesprochen und nur sehr widerwillig auf unsere kindlichen Fragen dazu geantwortet.

Als ich älter wurde, habe ich mehr von ihrem Hintergrund erfahren, und ich denke,dass es Stoff für einen ganzen Roman abgäbe, aber der Fakt, dass sie aus Deutschland kam, war nichts, was mich als Kind besonders prägte. Meine Oma war in Potsdam geboren und hatte einen Hund, der Senta hieß. Sie sprach Schwedisch mit Akzent und holte frische Milch vom Bauern nebenan. Als Kind habe ich, ohne zu zögern, den Hund und die Milch erwähnt, wenn ich von meiner Oma erzählt habe . Aus mir ist weder eine Hundebesitzerin noch eine Milchbäuerin geworden und ich glaube auch nicht an deutsche Gene, aber für viele Deutsche, die ich hier treffe, genügt meine Oma als Erklärung, warum ich seit 30 Jahren hier lebe.

Na gut, dann ist es eben so. Ich habe mich angepasst: ich esse gern Spargel im Frühling und Grünkohl im Herbst. Ich bin pünktlich und warte, bis die Fußgängerampel auf grün umspringt, bevor ich die Straße überquere. Ich verdiene selbst das Geld, das ich zum Leben brauche und mein polizeiliches Führungszeugnis ist ohne Beanstandungen. Für den Fall, dass ich neue Menschen kennenlerne, habe ich mich angepasst und erzähle gleich von meiner deutschen Großmutter Charlotte, und dann ist ihnen alles klar. So spare ich mir viel Zeit und Erklärungen, die keiner hören will. Aber ein bisschen traurig finde ich es doch, und ich glaube, dass wir alle viele interessante Gespräche verpassen, wenn wir Leute auf ihre Herkunft reduzieren.

På bilden ser du min mormor Emma Charlotte som ung.