Lagom, lagom, überall ist lagom

Dass lagom sich zu einem echten Exportschlager mausern sollte, hätte ich mir nie vorstellen können, aber zur Zeit ist lagom das hippste, das es gibt. Wenn etwas oder jemand lagom ist, heißt das, voll im Trend zu sein. Als erstes möchte ich anmerken, das lagom ein Adverb und unbeugsames Adjektiv ist und kein Lebensstil.

Wasser kann zum Baden lagom sein, und das ist dann keine Temperaturangabe, sondern jeder, der badet, hat unterschiedliche Auffassungen davon, was lagom ist. Und es ist nicht das gleiche, ob du in der Wanne badest oder in einem See. In der Wanne findest du vermutlich 22 Grad viel zu kalt, aber in einem schwedischen See wäre es echt warm. Lagom liegt also im Auge des Betrachters und ist kein von außen feststellbarer Wert. Für jeden hat lagom die Bedeutung, die ihm selber passend scheint.

Lagom als Lebenstil verwirrt mich. Wie soll das überhaupt aussehen? Ist es das, wenn man die komplette Einrichtung von IKEA hat, oder heißt das diffus, dass es nur für mich und meine Bedürfnisse lagom ist, also „mäßig, (gerade) richtig“, wie das Wörterbuch von Norstedts vorschlägt? Wie muss ich mir das vorstellen? Dass ich nicht zu viele Quadratmeter bewohne oder das ich nicht mehr Betten habe als feste Bewohner im Haushalt? Wenn es so benutzt werden würde, dass man möglichst nicht mehr von den endlichen Ressourcen der Erde verbrauchen sollte, als einem zusteht, fände ich es ja fast sympathisch, aber ich habe eher das Gefühl, dass es dazu benutzt wird, uns etwas anzudrehen, was wir nicht brauchen.

Als der schwedische Shampoo-Hersteller Barnängen, zum Beispiel, in Deutschland Fuß fassen wollte, hieß es in einer sehr nervigen Instagram-Werbeanzeige „Sei lagom!“ Meine Güte – es ist kein Kompliment lagom zu sein, auch nicht, wenn die Schweden nicht dafür bekannt sind, mit dem was sie haben zu prahlen und eher Understatement bevorzugen. Als lagom betitelt zu werden, ist so etwas wie eine dezente Beleidigung. Oder möchte irgendjemand in Deutschland als „08/15“ oder vielleicht „praktisch, quadratisch, gut“ beschrieben werden?

Vielleicht rege ich mich so auf, weil für mich bei zu viel lagom das Jante-Gesetz mitschwingt. Das Jante-Gesetz ist kein richtiges Gesetz, sondern etwas das in den Köpfen der Einwohner Schwedens festsitzt und sie über Leute richten lässt, Leute, die sich zu weit aus dem Fenster lehnen oder zu viel Gewese um die eigene Person machen. Du ska inte tro att du är något (= du sollst nicht glauben, dass du etwas bist) ist das ulitimative Jante-Zitat und stammt aus dem Buch ”En flykting korsar sitt spår” geschrieben auf Norwegisch von dem Dänen Aksel Sandemose 1933. Das schlimmste was man über jemand sagen konnte, als ich in den 70-igern Backfisch war, war ”sie glaubt, sie ist was”, und da ich zu der Zeit wohl die Bedeutung aber nicht Sandemose kannte, ging es mir tierisch auf den Geist! Als diese äußerste der Beleidigungen mir entgegen geschleudert wurde, entgegnete ich, „Ich glaube nicht, dass ich was bin – ich weiß es! Ich bin ICH!“ Kein Wunder, dass ich als vorlautes Gör galt…

Das nächste mal, wenn jemand mich auf lagom anspricht, mich fragt, ob ich einen Elch in freier Wildbahn gesehen habe oder wissen will, ob ich den Ort in Schweden kenne, wo sie mal im Urlaub gewesen sind, in so einem roten Häuschen am See – dann frage ich ihn zurück, ob es in Deutschland immer noch angesagt ist, zu marschieren, ob alle wirklich in Grunde ihres Herzens am liebsten Mercedes fahren würden und ob alle deutschen Städte nach dem Krieg mit dem selben Beton aufgebaut wurde. Dann bin ich gespannt auf die Antworten! Leider werde ich nie über die Antworten schreiben können, weil ich mich nie trauen würde, auf freundlich gemeinte Fragen solche böse Gegenfragen zu stellen. Ich würde es so machen wie die meisten Schweden die ich kenne: So höflich wie ich kann, antworten, die Hand in der Tasche zur Faust geballt und mir meinen Teil denken.

/carina

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Und hier ist ein Teil der Werbung von Barnängen

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