Husesyn

Als ich im August in Schweden war, war ich bei der Schwester meiner besten Freundin eingeladen. Wir kennen uns seit unserer Jugend und haben uns über die Jahre regelmäßig gesehen, aber ganz selten bei ihr zu Hause. Dieses Mal war ich bei ihr zum Essen eingeladen. Ich war pünktlich da und hatte gerade die Schuhe ausgezogen, als sie mir ein Glas in die Hand drückte und sagte „Komm, du warst ja nie hier, lass uns mal husesyn machen!“

Als erstes gingen wir nach oben und schauten uns das Schlafzimmer, das Musikzimmer und die anderen Räume an. Im Erdgeschoss befand sich die Küche und das Wohnzimmer, und im Keller wurde mir ein Esszimmer, ein Kaminzimmer und eine Sauna mit Duschbad gezeigt. Es dauerte bestimmt eine halbe Stunde, da sie zu jedem Zimmer etwas zu erzählen hatte und ich die Möglichkeit, ihre Einrichtung zu bewundern und Fragen zu stellen. Sie erzählte ausführlich, was sie und ihr Mann gemacht hatten, seit sie da wohnten, was sie noch vorhatten und was sie vom Vorbesitzer übernommen hatten.

Meine Bekannte interessiert sich vielleicht etwas mehr für Einrichtung als der Durchschnitts-Schwede, aber das Angebot, einen Rundgang durch das Haus zu machen, ist überall üblich, wenn man bei Schweden das erste Mal deren Heim betritt. Weil man eingeladen ist. Der Elektriker oder der Schornsteinfeger werden nicht durch alle Räume geführt, sondern nur dahin wo es brennt, oder eben dahin, wo sie etwas zu tun haben.

Ich weiß nicht so genau, warum das in Schweden üblich ist, aber vielleicht wollen wir dadurch unsere Gäste besonders herzlich willkommen heißen? Frei nach dem Motto: „Fühl dich wie zu Hause, jetzt weißt du ja, wo wir unsere Marmeladengläschen aufbewahren!“ Allerdings ist es keine Einladung, sich an den Marmeladengläsern zu bedienen und auch das präsentierte Ehebett soll nicht zum Nickerchen nach dem Essen einladen. Und ich glaube, dass die meisten schwedischen Gastgeber recht erstaunt wären, wenn sich die Gäste die Kleidung vom Leib reißen würden, um die Sauna auszuprobieren.

Das Angebot husesyn zu machen, darf nicht ausgeschlagen werden. Das wäre extrem unhöflich. Auch umgekehrt ist es so. Falls du als Gast das erste Mal jemanden besuchst, kannst du durchaus fragen, ob du husesyn machen darfst. Vermutlich wird sich der Gastgeber entschuldigen, dass er es noch nicht angeboten hat und dich sofort auf eine Tour durch Haus und Hof mitnehmen. Nicht erlaubt ist, unangekündigt selbst durch alle Zimmer zu gehen oder gar Schränke zu inspizieren.

Egal wie gebräuchlich husesyn ist, es ist kein Recht, nicht wie allemansrätten. Es kann ja sein, dass der Gastgeber keine Zeit hatte, überall zu putzen und herumliegendes Zeug einfach ins Schlafzimmer geworfen hat. Es könnte auch sein, dass er etwas zu verbergen hat – Leichen im Keller, zum Beispiel. Jeder von uns, der gern schwedische Krimis liest, weiß, dass es nicht ganz unwahrscheinlich ist, dass dann der Gastgeber noch einen Mord im Schilde führen könnte. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Vokabelhilfe

en husesyn, -er  = sich bei jemanden etwas umsehen

(en) allemansrätt  = jedermannsrecht, allgemeines Nutzungsrecht