„Hältst du mal bitte meine Tasche?“ – wie Corona Freundschaften vertieft und uns zurück zur Natur bringt…

Wiebke, unsere Gastkolumnistin

Carina hat in ihrer letzten Kolumne über die durchaus auch erfreulichen Nebeneffekte der Corona-Pandemie und des Home Office geschrieben – eine neue oder wiederentdeckte Freude am Putzen, Kochen und Essen. Bei vielen standen und stehen plötzlich auch puzzeln, ausmisten und renovieren hoch im Kurs, seit uns die Pandemie vor etwas mehr als einem Jahr in die eigenen vier Wände gezwungen hat.

Ein Aspekt wurde bisher aber kaum erwähnt, und womöglich spricht auch niemand gern darüber: Seitdem wir uns mit unseren Freund/innen und Verwandten wegen der Aerosole vor allem draußen treffen, hat auch das „draußen auf Toilette gehen“ wieder Hochkonjunktur. Ich weiß, dass insbesondere inkontinente Menschen derzeit vor wirklich große, wenn nicht gar unlösbare Herausforderungen gestellt werden – und sich kaum noch auf längere Ausflüge trauen. Nirgends können sie kurz einkehren, die üblichen Anlaufstellen – Shoppingcenter, Restaurants, Kulturstätten – sind ja alle geschlossen.

Das Elend ging aber auch für Menschen mit „normaler“ Blasenfunktion wie mich schon im November letzten Jahres los, im sogenannten „Lockdown light“: Restaurants und Cafés durften noch ein to go-Angebot verkaufen, ihre sanitären Anlagen aber schon nicht mehr für Laufkundschaft öffnen. Zeitgleich begannen die „Massenwanderungen“ an Elbe und Alster und ich erinnere mich an eine Situation großer, ja schon existenzieller Not in einem Bäcker in St. Georg: „Darf ich mal Ihre Toilette benutzen? – „Leider darf ich das nicht machen.“ Ich, ernsthaft bedauernd: „Schade. Wirklich sehr schade…“ – woraufhin mich die Bedienung voller Mitleid angesehen hat. Sie fühlte es auch.

Was also tun? Bis ich von einer Ecke der Stadt in der anderen bin, um mich beispielsweise mit einem Freund in Blankenese zu treffen, muss ich doch längst wieder auf Toilette. Die Lösung: back to the roots. Als Kind war es völlig normal, sich hinter Baumstämme oder zwischen Büsche und Hecken zu setzen, wenn man unterwegs war und es nicht anders ging. Eben irgendwo in die Natur, wo es sichtgeschützt ist und man sich kurz erleichtern kann. Unkompliziert und pragmatisch, organisch im wahrsten Sinne des Wortes. Aber irgendwann habe ich es sein gelassen, es war uncool, schickte sich nicht und es gab ja auch keinen Grund. So lange man 50 Cent dabei hat, kann man ja fast überall mal kurz die Toilette benutzen – normalerweise. Jetzt bin ich zurück im Jahr 2002, was das betrifft. Also im Grünen. Stets mit Taschentüchern ausgestattet (sowieso praktisch, um Türgriffe oder Einkaufswagen nicht mit der bloßen Hand anzufassen).

Auch umgezogen habe ich mich schon draußen, als es abends dann doch frisch wurde – und kein WC in der Nähe war, um mein Kleid gegen Hose und Pulli zu tauschen. Das Ganze habe ich so kommentiert: „Das ist Dating in Corona-Zeiten: Anfassen darfst du mich nicht, aber kannst immerhin zugucken, wie ich mich umziehe“ (er hat es cool aufgenommen) – aber ich schweife ab. Es ging ja um den Toilettengang, und der ist in der Regel kein Thema fürs 1. Date. Auch wenn es nur maximal ehrlich wäre und zeigt: Ja, auch ich habe Stoffwechsel und Verdauung!
Daher finde ich auch, dass sich Freund- und Bekanntschaften nochmal vertiefen, ja auf eine neue Ebene gehoben werden, wenn man sich plötzlich gegenseitig um Taschentücher bittet oder darum, „mal kurz die Tasche zu halten, ich setze mich mal hinter den Baum da“.

Ich habe gelesen, dass deswegen sogar Bußgelder verhängt werden können, aber ganz ehrlich, es geht ja manchmal wirklich nicht anders: Wer sich schon mal mit voller Blase, vor Bauchschmerzen krümmend, nach Hause gequält hat (weil es keine passende Stelle in Entenwerder gab, man die Dauer des Heimwegs unterschätzt und sich vor dem Kumpel irgendwie nicht getraut hat) – weiß, was ich meine.
In diesem Sinne: Weiterhin viel Spaß beim Spazierengehen und nicht vergessen, Taschentücher und anderes wieder mitnehmen und im nächsten Mülleimer entsorgen!

/wiebke