Diesen Sommer habe ich fast drei Wochen in Schweden verbracht. Meine Kinder sind groß, mein Mann beschäftigt und meine Eltern alt. Das dritte ist der hauptsächliche Grund warum ich immer mehr Zeit im Dorf meiner Kindheit verbringe.
Als ich Ende Juli ins Dorf kam, brauchte mein Haar dringend eine Schere. Alle Damenfriseure die ich anriefen, hatten entweder Sommerpause oder waren ausgebucht. Da meine handwerklich sehr begabte Schwägerin sich weigerte, Hand anzulegen, ging ich zu dem einzigen Herrenfriseur im Ort, in dem mein Vater seit Menschengedenken Kunde ist, und fragte, ob mir jemand die Haare schneiden würde. Der jüngere Friseur erklärte sich bereit und gab mir einen Termin kurz vor der Öffnungszeit und zwei Tage später. Ob es der Panik in meinen Augen geschuldet war oder ob er Damen grundsätzlich nur vor der regulären Kundschaft bediente, weiß ich nicht.
Der Mann hat gut geschnitten, aber noch besser war er in Konversation. Nach weniger als fünf Minuten hatte er schon rausgefunden, wer mein Bruder ist und nach einer weiteren Viertelstunde wusste er, dass mein Sohn, genau wie seiner, seit drei Jahren in Växjö studiert. Als sein Vater, der ältere Friseur, kam, sagte er begeistert: „Schau mal, hier ist jemand, den du schon lange nicht gesehen hast!“ Der ältere Mann hob den Kopf, nickte mir zu, war aber sonst nicht besonders beeindruckt. „Wessen Tochter das ist, habe ich doch schon Montag gesehen.“
Danach ging ich bei ICA einkaufen und traf eine Freundin aus der Schule. Der Schnack hielt sich in Grenzen, da sie berufsbedingt unterwegs war. Für eine kurze, herzliche Umarmung und „einen schönen Urlaub“ hatte sie aber Zeit.
Am Gemüsestand auf dem Markt wurde es ausführlicher. Der Gemüsehändler hatte mit meinem Bruder in einer Fabrik gearbeitet, als er gerade aus Bosnien kam, und der Kunde rechts von mir kannte meinen Vater gut. Der Gemüsehändler empfahl mir, Kirschen zu kaufen, die würde mein Vater besonders gern essen, und fragte, wie es meiner Mutter ging. Außerdem fand er, dass meine 16-jährige Nichte mir wie aus dem Gesicht geschnitten war, ich entschied, es als ein Kompliment zu nehmen. Gleichzeitig entschied ich aber auch, es ihr nicht zu sagen – wer will schon seiner ältesten Tante ähneln?
Meine Eltern hatten jahrelang eine Druckerei, mein Vater ist in der Gemeinde politisch engagiert, genau wie mein Großvater früher, und ich habe immer noch Onkel, Tanten und Cousinen im Dorf und drum herum. Dass ich selbst nur 17 Jahre hier lebte und seit 1982 eigentlich nur zu Besuch komme, spielt gar keine Rolle. Mittlerweile wohne ich seit 26 Jahren in Hamburg und finde, das ist mein echtes Zuhause. Hier lebe ich mit meinem Mann, hier habe ich die Kinder geboren und großgezogen, hier ist unser Haus und das Umfeld, was ich mir ausgesucht habe, und wo ich mich wirklich zu Hause fühle.
Eine einzige Stunde im Dorf löscht aber seltsamerweise 40 Jahre meines Lebens einfach aus und beschert mir mehr spontane, soziale Kontakte als eine Woche in Hamburg!