Klagen dürfen

Ein ruhiger Sonntagmorgen im heimischen Garten unserer Reihenhaussiedlung im Osten Hamburgs ist nicht mit dem meiner Kindheit zu vergleichen. In meinem Dorf Svenljunga, in Westschweden, in den Achtzigern, wurden wir sonntagmorgens um Sieben Uhr aus dem Schlaf geschreckt. Und das von der Kreissäge unseres Nachbarn Karl-Henric, der sowohl den Samstag als auch den Sonntag gern voll ausnutzte. Klagen durfte man nicht. Karl-Henric war der Onkel meines Vaters, und das Holz, das er sägte, war dringend nötig für den Winter. Sein komplettes Haus, wie auch viele andere in unserer Straße, wurde im Winter mit Holz beheizt. Dass die Jugendlichen der Straße noch nicht ausgeschlafen hatten, war wirklich kein Grund, ihn vom Sägen abzuhalten.

Samstagabend, bei uns in Hamburg, wehen bei schönem Wetter gelegentlich Grillgerüche vom Nachbarn herüber, oder manchmal, bei wichtigen Fußballspielen, gibt es Geräusche der Freude oder Enttäuschung zu hören. In Svenljunga, in den Siebzigern wurden wir in den Schlaf gewiegt von den Geräuschen der Nachbarn auf der anderen Seite, die gern Gäste einluden. Sie saßen bis spät in der Nacht auf der Terrasse, quälten eine Ziehharmonika und sangen dazu: „Ålefiskarns vals“. Ich erinnere mich, dass meine kleine Schwester einmal weinte. Sie meinte, das Singen ginge ja noch, wenn die Frau des Hauses nicht auch noch so laut und hysterisch lachen würde. Aber auch in diesem Fall wäre meinen Eltern das Klagen nie in den Sinn gekommen. Sie feierten ja auch mal, und ob die Nachbarn es toll fanden, wenn mein Vater die Tischtennisplatte unter der Straßenlaterne aufbaute, um ein spontanes mitternächtliches Turnier zu organisieren, haben wir nie erfahren. Weil, Klagen, das tat man nicht.

Unsere Zwillinge feierten vor zwei Jahren in unserem Haus in ihren 18. Geburtstag rein. Wir Eltern waren ausgeladen, und die fast Erwachsenen gingen durch die Häuserreihen, um sich im voraus für die Ruhestörung, die sie sich von ihrer Party erwarteten, zu entschuldigen. Die Nachbarn nahmen es zur Kenntnis. Nachts um Zwei Uhr stand eine unseren Kindern unbekannte Dame im Wohnzimmer, das voll von feiernden Jungerwachsenen war, und bat sie, die Musik leiser zu stellen. Die Dame sagte, sie sei eine Nachbarin und könne nicht schlafen. Die Musik wurde runter gedreht und die Tür zum Garten geschlossen. Am nächsten Tag klapperten die frischgebackenen Achtzehnjährigen die selbe Häuserreihe wieder ab, bedankten sich für die Geduld der Nachbarn mit einer Süßigkeit, aber die unbekannte Dame haben sie weder da noch später jemals wieder gesehen.

Auf Nachbarn muss man in Deutschland Rücksicht nehmen, das habe ich schon als Au-pair-Mädchen in einer katholischen Ecke Niedersachsens gelernt. Meine Au-pair-Mutter wusch den ganzen Sonntag lang, ließ mich aber die Wäsche erst am Montagmorgen an der Wäschespinne im Garten aufhängen. Falls sie meinte, sonntags Fenster putzen zu müssen, ließ sie das Rollo herunter, machte das Fenster nach innen auf, putzte Innenseite und Außenseite, machte wieder zu und zog das Rollo wieder hoch. Es war nämlich, aus ihre Sicht, nicht zumutbar, den Nachbarn zu zeigen, dass sie es mit dem Ruhetag nicht so genau nahm.

Ruhezeiten und Ruhetage, das nehmen die Schweden nicht so genau. Mähe deinen Rasen, wenn du Zeit hast und häng die Wäsche auf, wenn sie frisch gewaschen ist. Kauf deine Milch an irgendeinem der 365 Tage, wenn der Laden auf hat, und lebe dein Leben so, wie du es für richtig hältst. Aber klagen, das solltest du dir auf jeden Fall verkneifen!