Bekenntnisse einer Letzteminutekönigin

Kennt ihr das auch, was man alles erledigt bekommt, wenn man damit beschäftigt ist, nicht daran zu denken, was man eigentlich tun sollte? So geht es mir regelmäßig, zum Beispiel, wenn ich weiß, dass ich die Umsatzsteuervorauszahlung machen muss. Plötzlich ist Schreibtisch-Aufräumen eine attraktive Beschäftigung und noch nie mussten die Fenster so dringend geputzt werden!

Ich kenne das Verhalten so gut, schon aus den frühen 90ern, als ich meine Diplomarbeit an der Universität in Göteborg schrieb. Man kann mich heute eine Expertin nennen, schon damals war ich eine Meisterin im Aufschieben. „Ich werde gleich weiterschreiben“, sagte ich mir, „aber zuerst muss ich den Kühlschrank sauber machen, und wenn ich schon dabei bin, könnte ich ja genauso gut den Gefrierschrank abtauen. Und schau mal, hier ist ein Stück eingefrorenes Hackfleisch, was ich am besten gleich zubereite…“. Und bevor ich mich versah, war der Tag auch schon um, die Küche war zwar blitzeblank und meine Mitbewohnerin und ich hatten leckere Lasagne oder etwas ähnlich Aufwendiges gegessen, aber ich hatte kein Wort an der Diplomarbeit geschrieben.

Damals kannte ich das Wort „prokrastinieren“ gar nicht, aber ich bin mir sicher, ich hätte es schon damals geliebt! Es ist einfach ein Fremdwort zum Liebhaben, denn es klingt schon so viel besser, wenn ich sage, „Ich prokrastiniere“, statt zu sagen, „Ich bügele Unterhosen und Socken, weil ich nicht an der Kursbeschreibung für den neuen Kurs arbeiten möchte.“

Als wir unsere Kurse schon live und in Farbe im Unterrichtsraum in Hamburg gaben, hatten wir einmal einen Gast für unsere fortgeschrittenen Kunden. Maria Sundberg ist Doktor in Biologie und hat uns viel Interessantes darüber, wie das Gehirn funktioniert, erzählt, aber was mir die Augen öffnete, war ihre Erklärung der Pomodoro-Methode. Pomodoro ist „Tomate“ auf Italienisch und bezieht sich auf die Eieruhren in Form einer Tomate, die früher in fast jeder Küche standen. Was ich von der Methode behalten habe, ist, wenn du etwas Unangenehmes machen musst, fühlt sich das an, wie ein unüberwindbarer Berg an, was Tage, Wochen und Ewigkeiten in Anspruch nehmen wird. Aber, wenn du es in 20-Minuten-Häppchen aufteilst, ist es gar nicht so schlimm. Stell die Eieruhr, die Pomodoro-Tomate, auf 20 Minuten und leg los. Das ist vielleicht immer noch nicht gerade spaßig, aber 20 Minuten überlebt man und danach darf man ein Käffchen trinken, bevor man die nächsten 20 Minuten startet. Für mich ist es ganz oft so, wenn ich schon dabei bin, merke ich meistens, dass es gar nicht so schlimm ist und die 20 Minuten können schon 30 oder 40 werden und dann bin ich irgendwann doch durch mit der unangenehmen Aufgabe.

Mittlerweile habe ich meinen Frieden mit meiner Art alles in letzter Minute zu erledigen, gemacht, zumindest, wenn es um Kursvorbereitung geht. Ich habe nämlich gelernt, die Zeit, die ich damit verbringe, Anderes zu machen, denke ich doch irgendwie über den Kurs nach, und wenn ich mich dazu durchringen kann, mich an den Schreibtisch zu setzen, geht es eigentlich schon recht flott, die Denkarbeit habe ich ja schon währenddessen ich das Klo putzte und Garnrollen im Nähzimmer nach Farben sortierte erledigt.

Übrigens habe ich die Diplomarbeit rechtzeitig abgegeben, und ich habe bestanden. Gelernt habe ich leider nichts. Ich bin immer noch eine Letzteminutekönigin, jemand, der zur Hochform auffährt, wenn der Zeitdruck ihm um die Ohren pfeift. Aber manchmal, manchmal wünsche ich wirklich, ich könnte auch anders, aber ich glaube, da besteht keine Hoffnung. Auf Schwedisch sagt man Man kan inte lära gamla hundar sitta und ich vermute doch stark, dass es genauso unmöglich ist, 58-jährige Frauen umzuerziehen.

 

Vokabelhilfe

Man kan inte lära gamla hundar sitta 

Man kann nicht alten Hunden das sitzen beibringen was in etwa ”Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr” bedeutet.