Zwei Seiten einer Geschichte

Danke an Wiebke, unsere Gastkolumnistin.

Eben wollte ich ein Hotel buchen und habe getan, was man als moderner Verbraucher eben so macht: die Rezensionen gelesen, Filter auf „niedrigste zuerst“. Aber wenn man danach geht, kann man letztlich gar nichts buchen, denn irgendeinen (oder mehrere) gravierende Haken gibt es immer. Letztlich ist es wie Krankheitssymptome googlen oder Beipackzettel lesen, sollte man ja auch nicht, um sich nicht verrückt zu machen (was man trotzdem macht, ich weiß).

Interessant sind bei den Rezensionen aber oft die Antworten bzw. Gegendarstellungen der Hotelbetreiber: Es stimmt, dass es nicht genügend Betten für Familie H. gab, allerdings sind die ja auch mit 5 statt angemeldeten 3 Personen aufgekreuzt. Ja, Herr J. musste 500 Euro Strafe zahlen – weil er im Nichtraucherzimmer geraucht hatte. Und hätte sich Frau M. an der Rezeption gemeldet, hätte man ihr auch gezeigt, wie sie das Fenster öffnen kann („Fenster ließ sich nicht öffnen, es war stickig“).

Die Wahrheit liegt wohl wie so oft irgendwo in der berühmten Mitte, denn alles hat zwei Seiten etc.
Ich muss immer noch laut lachen, wenn ich an die zwei Seiten derselben Geschichte aus meiner Studienzeit denke: Mein Mitbewohner hatte eine Nachbarin „gefressen“.
Seine Version geht so: Er konnte nicht schlafen, weil sie, wohl zusammen mit Besuch, laut „trampelte“, wahrscheinlich tanzten sie dort oben, „mitten in der Nacht“. Ihm blieb nichts anderes übrig, als hoch zu gehen und um Ruhe zu bitten. Leider zeigte sie kaum Einsicht und war auch nicht sonderlich freundlich zu ihm – so seine Darstellung. Seitdem hatte er sie, wie gesagt, gefressen.

Erst viel später erfuhr ich ihre Sicht der Dinge: Ja, sie hatte Besuch und ja, ab und zu bewegt man sich in seiner Wohnung auch von Zimmer zu Zimmer, und es waren nun mal Linoleumböden, aber getanzt oder extra „getrampelt“ hätten sie nicht.

Jetzt kommt die Stelle, an der ich immer noch lachen muss.
Denn der Grund, warum sie eher irritiert und nicht sehr freundlich reagiert hatte, war: Mein Mitbewohner hatte, während er eine regelrechte Tirade auf sie abfeuerte („ja, bei mir hatte sich halt Wut aufgestaut“, sagte er mir dazu später) nur sein Schlafshirt an. Betonung auf SHIRT. Es war nicht sehr lang und bedeckte nur spärlich bis kaum, was so zu bedecken wäre, bevor man die eigene Wohnung verlässt. Und wenn es nachts um 4 ist („ich war halt so wütend, dass ich nicht darüber nachgedacht habe, wie ich aussehe, sondern einfach hoch gegangen bin“, meinte er wiederum dazu). Seitdem hatte sie IHN gefressen.

Und ich, nachdem ich mich wieder beruhigt hatte vor Lachen, daraus mitgenommen, dass wirklich immer alles zwei Seiten hat. Auch wenn man die andere manchmal erst Jahre später zu hören bekommt.

Ein Hotel habe ich übrigens doch noch gebucht, trotz der ganzen Rezensionen – und hoffe das Beste.