Wenn das Leben anfängt

Der einzige Witz an den ich mich erinnern kann, ist der mit dem Rabbi, dem katholischen Priester und dem evangelischen Pastor, die sich darüber unterhalten, wann das Leben anfängt. „Wenn das Spermium die Eizelle trifft“, sagt der Priester. „Nein, später“, sagt der Pastor, „erst wenn der Fötus außerhalb des Mutterleibes überleben kann, dann beginnt das Leben.“ Der Rabbi sagt: „Das Leben beginnt, wenn die Kinder aus dem Haus sind und der Hund tot ist!“

Bei uns beginnt diesen Herbst also das Leben! Der Sohn studiert schon am anderen Ort und die Tochter geht im Oktober ins Ausland. Einen Hund hatten wir nie, aber das Zwergkaninchen Sissi hat im August mit dem nahezu biblischen Alter von elf Jahren das Zeitliche gesegnet.

Obwohl ich den Witz oben gehört habe, lange bevor ich eigene Kinder hatte, habe ich sehr darüber gelacht, und es muss mir ja etwas gesagt haben, da ich ihn all die Jahre im Kopf behalten habe. Ich weiß mittlerweile genau, dass ich nicht komplett mit dem Rabbi übereinstimme. Ich fand, dass das Leben mit Kindern auf jeden Fall ein Leben war und meistens ein schönes. Ich habe viel erfahren und viel gelernt, was mir sonst niemals vergönnt gewesen wäre. Meine Tochter hat Ballett getanzt, und ich habe Tanzaufführungen gesehen, die mein Herz ganz weich gemacht haben. Mein Sohn hat im Knabenchor gesungen, und ich habe dadurch sehr schöne Konzerterlebnisse gehabt. Ich habe gelernt, dass Pfannkuchen zu jeder Tageszeit als eine vollwertige Mahlzeit durchgehen und das „korv stroganoff“ nicht nur ein schnelles Verlegenheitsessen ist sondern sehr beliebt. Ich habe die Kindersendungen „Bananer i pyjamas“ und „Sendung mit der Maus“ kennengelernt, und ich habe sehr viele, neue, tolle Kinderbücher vorgelesen. Meine Kinder haben mich außerdem gut erzogen: Ich bin aufmerksamer und genügsamer geworden. Ich freue mich über jeden Morgen, an dem ich länger als bis sechs Uhr schlafen darf, und eine Tasse Tee, ungestört in der Sonne, gehört zum höchsten Genuss.

Ich bin stolz, dass unsere Kinder sich in die Welt hinaus wagen, und ich finde, es wäre wirklich schrecklich, wenn sie für immer an meinem Rockzipfel hängen würden. Aber etwas Wehmut und Leere mischt sich doch darein. Wie wird es wohl sein, wieder nur zu zweit? Als wir vor 20 Jahren zu zweit waren, wohnten wir in einer kleinen Wohnung, jetzt haben wir ein ganzes Haus und könnten jeder eine Etage bewohnen, eine für gemeinsame Unternehmungen reservieren und immer noch eine in Reserve haben! Und wie geht einkaufen, nur für uns zwei? Statt zwölf Liter Milch in der Woche reichen wahrscheinlich zwei, und die Frau an der Käsetheke wird vermutlich nicht mehr so nett mit uns plaudern, da wir nicht mehr kiloweise Cheddar kaufen werden, sondern nur jeweils vier Scheiben Leerdammer und Bergkäse. Und kochen, lohnt sich das überhaupt noch, die Küche dreckig zu machen, für zwei Personen? Können wir nicht ausschließlich auswärts essen? Oder eventuell auf kaltes Essen umsteigen? Und die Waschmaschine wird auch nicht viel zu tun haben! Staubt die ein, wenn sie nur alle zwei Wochen in Bewegung gebracht wird? Und die ganzen Badezimmer im Haus, können wir doch zu zweit auch nicht schaffen, dreckig zu machen! Aber am schlimmsten ist es doch, mit den leeren Kinderzimmern, in welchen schon länger keine Kinder mehr gelebt haben, sondern junge Erwachsene. Was sollen wir damit bloß anstellen? Als ich in den 70gern in Schweden Kind war, waren Hobbykeller sehr in Mode, aber ein Hobbykeller unterm Dach, geht das überhaupt? Vielleicht könnte ich mir einen Webstuhl da reinstellen und eine Strickmaschine, das wollte ich schon immer haben! Ein Problem mit der Planung gibt es: ich kann weder Weben noch eine Strickmaschine bedienen. Mein Mann würde vermutlich zu bedenken geben, dass mein Nähzimmer schon vor sich hin staubt, da ich vor lauter anderer Projekte kaum zum Nähen komme.

Na gut, langweilig wird es mir in dieser neuen Lebensphase auch nicht werden. Ich habe einfach kein Talent zum Langweilen. Ich verspreche, mich anzustrengen, keine neuen Hobbys anzufangen und lasse die Zimmer erst mal leer. Ich setzte darauf, dass die flügge Gewordenen uns ab und an besuchen und dann auch noch übernachten. Da haben wir gute Chancen, glaube ich, wenn sie aus Schweden und Spanien angereist kommen, bleiben sie bestimmt über Nacht.

/carina