Mambo bleiben?

Bild: Lotta Balensiefen

Im Herbst 2019 traf ich eine Gruppe Frauen das erste Mal und stellte mich vor. Wenn Frauen, die Mütter sind, sich vorstellen, sagen sie meistens, wie viele Kinder sie haben und wie alt sie sind. Ich habe erzählt, dass meine 19-Jährigen Kinder nicht mehr zu Hause wohnen, weil ich dachte, das wäre für den Kontext wichtig. Es war ja keine Elterngruppe, sondern unser Zusammentreffen war rein beruflicher Natur.

Eine unbedeutende Info am Rande, dachte ich, aber ich wurde direkt darauf angesprochen dass beide Kinder schon ausgezogen waren, da sie ja noch so jung wären. Ich wiederholte, sie sind erwachsen, und fügte hinzu, dass sie nun ihr eigenes Leben führen. Vielleicht fanden die anderen Frauen, dass ich eine besonders herzlose Mutter wäre.

In Schweden ist es üblich, nach dem Abi auszuziehen und stå på egna ben. Zum Abitur bekamen meine Kinder Töpfe, Kochbücher und Messersets von ihren schwedischen Verwandten, damit sie für die erste eigene Wohnung ausgestattet sein würden. Die Abiturienten des Hauses haben sich sowohl über die Küchenausstattung, als auch über die Aussicht, bald ausziehen zu können, gefreut.

2019, als ich in der oben genannten Frauengruppe aufkreuzte, waren sie also bereits ausgezogen: Einer wohnte in Schweden und die Andere in Spanien. Ich fand, soweit hatten wir unseren Erziehungsauftrag gut gemeistert – wir hatten unsere Kinder zu mutigen, selbstständigen Menschen erzogen, die Lust hatten, die Welt zu entdecken. Wenn man das nicht wollte, hätte man sich ja einen Hund anschaffen können, der bleibt immer zu Hause. Die Sache mit dem Hund… – Svenska Intensiv

Ich hatte das Gefühl, in Deutschland ist es nicht unbedingt erwünscht, dass die Kinder so früh ausziehen. Die Reaktionen in der Frauengruppe und ein Blick in die Nachbarschaft sagten mir, dass viele Jungerwachsene hier nach der Schule noch zu Hause bleiben. Beim Googlen fand ich eine Grafik, Durchschnittsalter junger Menschen* beim Verlassen des elterlichen Haushalts nach Geschlecht in der EU im Jahr 2020,  die meine keimende Vermutung, dass deutsche Kinder länger mambo bleiben als Schwedische, bestätigte. In Schweden verlassen die Jugendliche schon mit 16,1 Jahren das Nest, in Deutschland erst mit 23,7. Immerhin besser als das Schlusslicht der Studie, Kroatien, wo sie erst mit 32,4 Jahren Mutters Schoß verlassen.

16 Jahre klingt früh und eine andere Statistik sagt, dass die Schweden erst mit durchschnittlich 19,3 Jahren den Haushalt der Eltern verlassen. Vermutlich lassen sich noch jede Menge anderer statistischer Werte finden – die Tendenz aber ist klar: Die schwedischen Jungerwachsenen ziehen eher aus, als die Gleichaltrigen in Deutschland.

Liegt es hauptsächlich daran, dass die schwedischen Jugendlichen, wenn sie die Schule verlassen, wirtschaftlich auf sich gestellt sind? Die Eltern sind verantwortlich, bis sie 18 sind, oder bis sie die Schule verlassen, aber dann sind sie erlöst und können mit ihrem Geld das Haus renovieren oder sich ein Spa-Wochenende nach dem anderen gönnen. Lehrlingsausbildungen sind in Schweden unbekannt und alle Studierenden haben das Recht auf BAföG/CSN, das ermöglicht natürlich eine ganz andere Selbstbestimmung. Wer nicht studiert, fängt an zu arbeiten und verdient hoffentlich so viel, dass er/sie damit ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten kann.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto verzwickter wird es. Ich hatte mir bis vor kurzem auf die Schulter geklopft und mir selbst gratuliert, dass die schwedischen Sitten in unserem Haus vorherrschend waren.  Aber vielleicht hatte ich nur Glück, dass meine Kinder Alternativen wählten, welche nicht in Hamburg stattfanden?

Bleiben deutsche Kinder länger mambo, weil es finanziell nicht anders geht? Klammern deutsche Mütter nicht mehr als schwedische, sondern versuchen sie sich einfach damit zu arrangieren, dass ein größerer Teil ihres Einkommens weiterhin ihren Sprösslingen in Ausbildung zukommt? Vielleicht müssen wir auch noch, die regionalen Unterschiede von Schweden (viel Platz, wenig Bevölkerung) Deutschland (wenig Platz, viel Bevölkerung) bedenken?

Nun seid ihr gefragt! Woran liegt es, glaubt ihr, dass die Schweden früher ausziehen als die Deutschen? Ich bin gespannt auf eure Antworten! Selbst bin ich nämlich überfragt und habe keine Ahnung von nichts. Zumindest nicht, wenn es um Thema „Ausziehen“ geht…

Vokabelhilfe

stå på egna ben                              auf eigenen Füßen stehen

mambo                                             bei Mama wohnen (mamma + bo = mambo

CSN                                                    Centrala Studiemedelsnämnden             

 

Quelle: Alter bei Auszug aus Elternhaus in europäischen Ländern | Statista

Demografiska rapporter: På egna ben. En beskrivning av ungas flytt från föräldrahemmet (scb.se)